1. In der Betriebsunterbrechungsversicherung ist die Haftzeit der Zeitraum, für welchen der Versicherer Entschädigung für den Ertragsausfall zu leisten hat, wobei die Haftzeit, so die üblichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen, „mit Eintritt des Sachschadens beginnt“.
2. Bei einer solchen Gestaltung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen kommt es weder auf die Entstehung der Schadenursache noch auf die Erkennbarkeit des Schadens an noch auf die Kenntnis des Schadens, sondern allein auf den Eintritt des Sachschadens.
Anmerkung
1. In der Leitungswasserversicherung hatte der Versicherungssenat des BGH auf Grundlage der aktuellen VGB entschieden, dass maßgeblich ist, wann der Versicherungsnehmer den Schaden erstmalig entdeckt. Der Versicherer hat Deckung zu gewähren, bei dem Versicherungsvertrag zu dem Zeitpunkt bestand „die Theorie des letzten Tropfens“.
Diese „Erstentdeckertheorie“ des BGH (Besprechungsaufsatz hierzu von Günther in VersR 2017, 1435 ff.) führt zu Unklarheiten, da wesentliche Fragen ungeklärt sind, wie z.B. auf wessen Person es ankommt, also bei vermieteten Gebäuden auf die Erstentdeckung durch den Mieter oder erst, wenn der Mieter seine „Entdeckung“ an den Vermieter als Versicherungsnehmer einer Gebäudeversicherung weitergeleitet hat. Zudem die Frage, was mit zwischenzeitlich deckungsfreien Zeiträumen ist aufgrund Nichtzahlung der Folgeprämie, ob es auf die objektive Deckungsmöglichkeit ankommt, z.B. wenn der Versicherungsnehmer die Möglichkeit einer Entdeckung hat, vor einer solchen jedoch entweder bewusst die Augen verschließt oder die Entdeckung erst geraume Zeit später aufgrund einer längeren Abwesenheit bemerkt usw. Hier erscheint weiterhin die Quotenlösung, dass also der erste und der zweite Versicherer sich den Schaden unter Zuhilfenahme des § 287 ZPO teilen oder, was für den Versicherungsnehmer die günstigste Möglichkeit wäre, dass man von einer analogen Anwendung einer Doppelversicherung nach § 78 VVG ausgeht (vgl. Günther a.a.O.).
2. Die „Erstentdeckertheorie“ des BGH ist in der Rohrbruchversicherung nicht anwendbar, da der Rohrbruch, anders als in der Leitungswasserversicherung, eher ein punktuelles Ereignis ist (so BGH in seinem „Erstentdeckerurteil“, so auch das OLG Saarbrücken r+s 2019, 93 mit zust. Anm. Günther in juris-PR-VersR).
3. Besonders interessant ist die Rechtslage in der Betriebsunterbrechungsversicherung.
Diese hat oftmals Regelungen, die zwar nicht ganz so eindeutig sind, wie in den VGB 62, wo auch nach Auffassung des BGH die „Theorie des ersten Tropfens“ gilt, aber eben doch deutlich anders sind als in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die dem BGH in seinem „Erstentdeckerurteil“ zugrunde lagen. In dem vom LG Köln zu beurteilenden Fall gab es eine entsprechende Regelung, die auf den Beginn des Sachschadens abstellt. Bei diesem Wortlaut dürfte, ähnlich wie bei den VGB 62, weiter von der Theorie des „ersten Tropfens“ auszugehen sein, dass also maßgeblich ist der Eintritt der ersten Sachsubstanzbeschädigung (ausführlich zu diesem Komplex Günther, Betriebsunterbrechungsversicherung in Looschelders/Pohlmann, VVG, 4. Aufl., E, Rdnr. 59 – 62). Für den Komplex gab es nur eine ältere, vom LG Köln auch zitierte Entscheidung des LG Wiesbaden.
Die Wirksamkeit der Klausel wird vom LG Köln bejaht. Dem ist zuzustimmen, da es in der Tat für die AGB-rechtliche Wirksamkeit der Klausel nicht auf den konkreten Einzelfall ankommt, sondern auf eine Gesamtbetrachtung. Hier besteht – unabhängig von dem anderen Wortlaut der Klausel - ein erheblicher Unterschied zur Leitungswasserversicherung, bei der es, auch wenn es hierüber keine empirischen Daten geben dürfte, durchaus unbemerkt zu nicht erkennbaren Schäden führen kann, insbesondere beim allmählichen Eindringen von Feuchtigkeit in eine Unterbodenkonstruktion u.a.
Im Rahmen der Betriebsunterbrechungsversicherung dürften solche unbemerkt gebliebenen Schäden, die zu einer Betriebsunterbrechung führen, entsprechend den Ausführungen des LG Köln die große Ausnahme bilden. Eine Betriebsunterbrechung aufgrund eines Sachschaden, was für alle versicherten Gefahren gilt, ist üblicherweise doch ein punktuelles und eher dramatisches Ereignis.
Ansprechpartner
RA Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther, Köln
dirk-carsten.guenther@bld.de
Beginn der Haftzeit (mit BLD-Anmerkung)
LG Köln, Urteil vom 24.4.2024 - 20 O 350/23 (nicht rechtskräftig)