1. Kommt es in unmittelbarem örtlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dem Linksabbiegen zu einer Kollision mit einem links überholenden Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Verletzung der Sorgfaltspflichten des Linksabbiegers, die insbesondere eine rechtzeitige Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeiger (§ 9 Abs. 1 Satz 1 StVO), eine rechtzeitige Einordnung möglichst weit nach links zur Straßenmitte hin (§ 9 Abs. 1 Satz 2 StVO) und eine doppelte Rückschaupflicht sowohl vor dem Einordnen als auch vor dem Abbiegen (§ 9 Abs. 1 Satz 4 StVO) gebieten. Der Fahrtrichtungsanzeiger ist dann „rechtzeitig“ i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 1 StVO betätigt, wenn sich der Verkehr auf das Abbiegen einstellen kann. Insgesamt hat der Linksabbieger sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 9 Abs. 5 StVO).
2. Von einem schuldhaften und unfallkausalen Verstoß jedenfalls gegen die Pflicht zur doppelten Rückschau ist auszugehen, wenn sich das Beklagtenfahrzeug − unabhängig von seiner gegebenenfalls überhöhten Geschwindigkeit − im Zeitpunkt des Ausscherens des Linksabbiegers bereits vollständig auf der linken Fahrspur befunden haben muss und demnach mittels Rückschau erkennbar war. Insoweit kommt es auf die Frage, ob der Klägerin auch eine (mitursächliche) Verletzung der Pflicht, den Abbiegevorgang rechtzeitig anzukündigen, anzulasten ist, nicht entscheidungserheblich an.
3. Es ist auch dann eine Haftungsquotelung gerechtfertigt, wenn sich der überholende Unfallgegner seinerseits − etwa wegen Überholens mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit oder trotz unklarer Verkehrslage − verkehrswidrig verhalten hat. Der Verursachungsbeitrag des Linksabbiegers ist in Ansehung dieser Grundsätze mit einem Anteil von jedenfalls 33 % angemessen berücksichtigt.
Ansprechpartnerin
RAin Runa Stopp, Berlin
runa.stopp@bld.de
Bei einem Zusammenstoß zwischen einem links abbiegenden mit einem links überholenden Fahrzeug spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Linksabbiegers
LG Frankfurt/O., Beschluss vom 4.11.2022 - 16 S 58/21