1. Die Bemessung der Höhe der Hinterbliebenenentschädigung ist grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Er hat die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen zu bewerten und hierbei die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen. Ähnlich wie beim Schmerzensgeld sind dabei sowohl der Ausgleichs- als auch der Genugtuungsgedanke in den Blick zu nehmen.
2. Maßgebend für die Höhe der Hinterbliebenenentschädigung sind im Wesentlichen die Intensität und Dauer des erlittenen seelischen Leids und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei lassen sich aus der Art des Näheverhältnisses, der Bedeutung des Verstorbenen für den Anspruchsteller und der Qualität der tatsächlich gelebten Beziehung indizielle Rückschlüsse auf die Intensität des seelischen Leids ableiten.
3. Der in dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD genannte Betrag in Höhe von 10.000 Euro (BT-Drucks. 18/11397, S. 11) bietet eine Orientierungshilfe für die Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung, von der im Einzelfall sowohl nach unten als auch nach oben abgewichen werden kann. Er stellt keine Obergrenze dar.
4. Die Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld diente dem Zweck, den Hinterbliebenen für immaterielle Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsverletzung einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld einzuräumen. Der dem Hinterbliebenen im Einzelfall zuerkannte Betrag muss deshalb im Regelfall hinter demjenigen zurückbleiben, der ihm zustände, wenn das von ihm erlittene seelische Leid die Qualität einer Gesundheitsverletzung hätte.
Anmerkung
Die erwachsene Tochter begehrte ein Hinterbliebenengeld von 10.000 Euro, nachdem ihr 81-jähriger Vater bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall ums Leben kam. Vorgerichtlich hat der Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers ein Hinterbliebenengeld von 3.000 Euro gezahlt. Während das LG Flensburg erstinstanzlich lediglich weitere 3.500 Euro zugesprochen hat, gab das OLG Schleswig der Klage mit Urteil vom 23.2.2021 - 7 U 149/20 vollumfänglich hinsichtlich weiterer 7.000 Euro statt.
Die Revision der Beklagten beim BGH hatte Erfolg. Bestätigt hat der BGH, dass der Betrag von 10.000 Euro als Orientierungshilfe anzusehen ist, von der im Einzelfall sowohl nach unten als auch nach oben abgewichen werden kann. Es ist die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen zu bewerten, wobei die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Die Ausführungen des BGH zum Verhältnis von Hinterbliebenengeld und Schmerzensgeld wegen eines sog. Schockschadens wurden vom BGH hingegen als rechtsfehlerhaft bewertet.
Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld diene dem Zweck, dem Hinterbliebenen für immaterielle Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsverletzung einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld einzuräumen. Der dem Hinterbliebenen im Einzelfall zuerkannte Betrag müsse deshalb im Regelfall hinter demjenigen zurückbleiben, der ihm zustünde, wenn das von ihm erlittene seelische Leid die Qualität einer Gesundheitsverletzung hätte. Die Frage, welche Summe angemessen sei, könne dabei nur in Ansehung der deutschen Rechtsordnung beantwortet werden. Höhere Entschädigungsbeträge anderer europäischer Länder dürften nicht in die Bemessung der Höhe des Hinterbliebenengeldes einfließen.
Der Rechtstreit wurde an das OLG Schleswig als Berufungsgericht zurückverwiesen, da nicht ausgeschlossen sei, dass sich die rechtsfehlerhaften Erwägungen des Berufungsgerichts zur Bemessungsgrundlage auf die Höhe der zuerkannten Hinterbliebenenentschädigung ausgewirkt haben.
Der BGH bestätigt zwar den Betrag von 10.000 Euro als Leitschnur, hebt aber gleichzeitig hervor, dass der konkrete Einzelfall und die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen zu bewerten sei. Er betont auch, dass das Hinterbliebenengeld in der Regel hinter dem Schmerzensgeld nach Schockschaden zurückbleiben soll.
Zu der Frage, ob der Anspruch auf Hinterbliebenengeld neben einem eigenen Schmerzensgeldanspruch wegen eines Schockschadens geltend gemacht werden kann, äußert sich der Senat nicht. Der Hinweis auf die Betrachtung des Einzelfalls macht aber deutlich, dass der immaterielle Schaden im Ergebnis einheitlich zu bewerten ist.
Ansprechpartnerin
RAin Sibille Bucka, München
sibille.bucka@bld.de
Bemessung der Höhe der Hinterbliebenenentschädigung (mit BLD-Anmerkung)
BGH, Urteil vom 6.12.2022 - VI ZR 73/21