Macht der Arbeitgeber Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Arbeitgeberregress geltend, treffen ihn die Darlegungs- und Beweislast für Grund und Höhe. Kann der Arbeitgeber den erforderlichen Strengbeweis der Unfallkausalität nicht führen, steht ihm trotz der ärztlich bestätigten Arbeitsunfähigkeit kein übergegangener Schadensersatzanspruch zu.
Anmerkung
Das OLG München hat mit überzeugendem Urteil vom 10.11.2021 klargestellt, dass im Rahmen von Arbeitgeberregressen hinsichtlich geleisteter Entgeltfortzahlung aufgrund einer angeblichen unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, die oft falsch zitierte und auch missverständliche Rechtsprechung des BGH vom 16.10.2001 (BGH VI ZR 407/00 = NJW 2002, 128) jedenfalls dann nicht anwendbar ist, wenn Primärverletzungen des Arbeitnehmers dem Grunde nach bestritten sind.
Das LG München I hat zunächst zutreffend ein interdisziplinärisches Sachverständigengutachten zum bestrittenen Verletzungsumfang der Arbeitnehmerin der Klägerin erholt. Die Beklagte hatte unfallbedingte Verletzungen der Arbeitnehmerin dem Grunde nach bestritten. Die klägerseits behauptete unfallbedingte HWS-Distorsion konnte durch das erholte Gutachten nicht bestätigt werden. Allenfalls lag nach dem Ergebnis des Gerichtsgutachtens eine kurzweilige Anpassungsstörung der Arbeitnehmerin vor, welche aber zu keiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit geführt hat. Eine mögliche Minderung der Erwerbsfähigkeit wurde mit lediglich 10% angegeben.
Das LG München I hat – nach Richterwechsel – dennoch der Klage weitgehend stattgegeben und darauf hingewiesen, dass - unabhängig vom Gutachtenergebnis – sich die Klägerin als Arbeitgeberin auf die ihr vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Arbeitnehmerin verlassen durfte. Das Gericht verwies (fehlerhaft) auf die Rechtsprechung des BGH NJW 2002, 128. Die Kosten für das interdisziplinäre Gutachten hat das LG niedergeschlagen, da das Gutachten für die Entscheidungsfindung überflüssig gewesen sei, was sich nicht zu Lasten der Parteien auszuwirken habe.
Das OLG München hat das Urteil aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Erstattung der geleisteten Entgeltfortzahlung zu, da der Klägerin nur der Nachweis einer unfallbedingten Anpassungsstörung der Arbeitnehmerin gelungen ist, die lediglich eine vorübergehende Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 %, aber keine Arbeitsunfähigkeit begründet hat.
Zutreffend weist das OLG darauf hin, dass das LG den falschen Beweismaßstab, nämlich § 287 ZPO anstatt § 286 ZPO angewendet hat. In Bezug auf die Primärverletzung gilt § 286 ZPO, da es um die haftungsbegründende Kausalität geht. Erst wenn die Primärverletzung unstreitig oder erwiesen ist, kommt § 287 ZPO zur Anwendung (haftungsausfüllende Kausalität). Auch den Arbeitgeber treffe die Darlegungs- und Beweislast für Grund und Höhe. Kann der Arbeitgeber den erforderlichen Strengbeweis der Unfallkausalität nicht führen, steht ihm trotz der ärztlich bestätigten Arbeitsunfähigkeit kein übergegangener Schadensersatzanspruch zu, so auch Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 13. Aufl., Rn. 106. Die vom Erstgericht zitierte Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2001 stehe dem nicht entgegen, da dort die Primärverletzungen unstreitig waren. Dort galt demnach § 287 ZPO, da es nur noch um die haftungsausfüllende Kausalität ging.
Die ergangene Entscheidung ist zu begrüßen und fügt sich in die gängige Rechtsprechung zu der Thematik ein, vgl. auch die lesenswerte Entscheidung des LG Saarbrücken, Urteil vom 15.7.2016 - 13 S 51/16, mit weiteren Nachweisen. Trotz der eindeutigen Rechtslage wird die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2001 immer wieder im falschen Kontext zitiert und auch von den Gerichten missverstanden und fehlerhaft auch dann angewendet, wenn es um die haftungsbegründende Kausalität geht.
Die Entscheidung des OLG München ist mit der gängigen Rechtsprechung des BGH zu vereinbaren. In seiner Entscheidung vom 23.06.2020 (BGH VI ZR 435/19 = BGH NJW 2020, 3176) hat auch der BGH ausgeführt, dass das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat, dass die Frage, ob sich der Geschädigte bei dem Unfall überhaupt eine Verletzung zugezogen hat, die haftungsbegründende Kausalität betrifft und damit den strengen Anforderungen des Vollbeweises unterliegt. Erforderlich ist der Nachweis einer Körper- oder Gesundheitsverletzung, der bloße Verletzungsverdacht reicht nicht aus. Das Berufungsgericht hatte offengelassen, ob es von einer unfallbedingten Primärverletzung ausging oder nicht. Dies hat der BGH beanstandet und darauf hingewiesen, dass auch glaubhaft bekundete Nacken- und Kopfschmerzen eine Rechtsgutsverletzung im Sinne einer Primärverletzung darstellen können. Der Rechtsstreit wurde zur Klärung, ob eine unfallbedingte Primärverletzung vorliegt oder nicht, zurückverwiesen.
Für den Fall, dass eine unfallbedingte Primärverletzung bejaht wird, hat der BGH u.a. auch auf seine Entscheidung aus dem Jahr 2001 verwiesen, die wohl nach wie vor Bestand haben soll; dies erweist sich als inkonsequent, da in derselben Entscheidung auch festgehalten wird, dass die Klägerin als Arbeitgeberin - außer der Entgeltfortzahlung - darzulegen und zu beweisen hat, dass der Arbeitnehmerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz des (normativen) Verdienstausfallschadens zusteht. Es würden insoweit keine anderen Grundsätze gelten, als wenn der Geschädigte seinen Schadensersatzanspruch selbst geltend machen würde. Letzteres ist konsequent, da nicht einzusehen ist, weshalb dem Arbeitgeber hier im Gegensatz zum mutmaßlich geschädigten Arbeitnehmer Beweiserleichterungen zu Gute kommen sollten. Der Arbeitgeber macht nämlich keinen eigenen, sondern nur den übergegangenen Anspruch des Arbeitnehmers geltend. Wenn ein Anspruch des Arbeitnehmers aber nicht (nachweislich) besteht, kann er auch nicht (nachweislich) übergehen.
In der BGH Entscheidung aus 2020 heißt es in Rn. 16 wörtlich:
„Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Auffassung des BerGer., dass die Kl. ihrer Beweislast hinsichtlich des Haftungsgrundes nicht durch die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 18.3.2016 nachgekommen ist. Diese enthält weder Angaben zur Diagnose, also zur Art der Krankheit, noch verhält sie sich zu der Frage, ob die die Arbeitsunfähigkeit auslösende Krankheit unfallbedingt ist. Da sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon ihrem Inhalt nach nicht auf Art und Ursache der Krankheit erstreckt, kommt es nicht darauf an, welche (formelle oder materielle) Beweiskraft einer Privaturkunde überhaupt zukommen kann.“
Weshalb einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität eine höhere Beweiskraft zukommen sollte (so BGH NJW 2002, 128), als dies bei der haftungsbegründenden Kausalität der Fall ist, ist nicht nachvollziehbar.
Man kann in Anbetracht der BGH Rechtsprechung aus 2020 sogar berechtigt in Frage stellen, ob der Arbeitgeber sich - selbst bei unstreitiger Primärverletzung des Arbeitnehmers -, also wenn es nur noch um die haftungsausfüllende Kausalität geht (§ 287 ZPO), ausschließlich auf die ihm vom Arbeitnehmer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen berufen kann oder aber auch in derartigen Fällen bei streitigem Verletzungsumfang ein Gutachten zum genauen Verletzungsumfang zu erholen ist. Denn wenn keine anderen Grundsätze gelten, als im Direktbereich, wenn der Geschädigte also selbst seinen Anspruch gegenüber dem Schädiger geltend macht, dann wäre auch bei unstreitiger Primärverletzung und sonst streitigem Verletzungsumfang zu letzterem Beweis zu erheben, vgl. in diese Richtung auch die - aktuell nicht rechtskräftige - Entscheidung des OLG Dresden vom 13.7.2022 - 1 U 2039/21, die im Direktbereich zwischen Schädiger und Geschädigtem ergangen ist, aber die zitierten BGH-Entscheidungen zum Drittleistungsrecht aufgreift.
Das OLG Dresden geht - berechtigt - davon aus, dass der BGH mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2001 nur den Begriff des normativen Schadens konkretisieren wollte, aber nicht dem Geschädigten (bzw. dessen Arbeitgeber) einen - unter wertender Betrachtungsweise - zu erstattenden Schaden auch dann zubilligen wollte, wenn die Arbeitsunfähigkeit (teilweise) nicht auf den Unfall zurückzuführen ist, aber der Geschädigte (bzw. dessen Arbeitgeber) auf die Krankschreibung vertraute. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.
Ansprechpartner
RA Armin Seiler, München
armin.seiler@bld.de
Beweismaßstab beim Arbeitgeberregress
OLG München, Urteil vom 10.11.2022 - 10 U 1504/21