Der Vorrang des fließenden Verkehrs gegenüber dem an- und einfahrenden Verkehr gilt auch bei einer Rückwärtsfahrt des im fließenden Verkehr befindlichen Fahrzeugs - Zweck des § 9 Abs. 5 StVO dient dem Schutz des fließenden Verkehrs und dem Fußgängerverkehr. Der Vorrang bezieht sich auf die gesamte Fahrbahn.
Anmerkung
Zum im Streit stehenden Verkehrsunfall kam es, als der im fließenden Verkehr befindliche Zeuge rückwärtsfahrend gegen das vom Sohn des Klägers geführte Fahrzeug geriet, der aus einer Ausfahrt in den fließenden Verkehr einfuhr. Ob der Sohn des Klägers unmittelbar vor der Kollision noch zum Stillstand gelangte, war zwischen den Parteien streitig. Die Beklagte hatte bereits 30 % der berechtigten Ersatzansprüche beglichen.
Nach Klageabweisung durch das AG und dem hier veröffentlichten Hinweis wies das Gericht in ungeänderter Besetzung aus Anlass der späteren mündlichen Verhandlung darauf hin, dass entgegen des erteilten Hinweises davon auszugehen sei, dass die Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO nicht allein gegenüber dem fließenden Verkehr gelten, sondern bereits vom Wortlaut her alle anderen Verkehrsteilnehmer umfasst sind, also auch solche, die aus dem ruhenden Verkehr in den fließenden Verkehr einfahren.
Allerdings entbinde dies nicht davon, die beiderseitigen Verursachungsbeiträge am Unfallgeschehen gegeneinander abzuwägen (§ 17 StVG). Hierbei wäre zu berücksichtigen, dass der klägerische Fahrzeugführer überhaupt nicht nach links geblickt hat, bevor er in den Bereich der Fahrbahn des fließenden Verkehrs eingefahren sei.
Die Einzelheiten müssten in einer weiteren Beweisaufnahme geklärt werden. Bei Unaufklärbarkeit insbesondere in Weg-zeitlicher Hinsicht, würde sich wohl eine Haftungsverteilung von 50 % zu 50 % ergeben, auf dieser Basis wurde die Sache dann vergleichsweise beendet.
So der BGH im Urteil vom 8.3.2022 - VI ZR 1308/22 ausführt, dass im Rahmen des § 7 Abs. 5 Satz 1 StVO "anderer Verkehrsteilnehmer" nur ein Teilnehmer des fließenden Verkehrs ist, also nicht der vom Fahrbahnrand An- und in den fließenden Verkehr Einfahrende, ist aber der Kreis des in § 9 Abs. 5 StVO aufgeführten "anderen Verkehrsteilnehmers" nicht zu erweitern. Die zuletzt durch das LG München geäußerte Rechtsauffassung führte anderenfalls zu einem nicht hinzunehmenden Wertungswiderspruch.
Ansprechpartnerin
RAin Runa Stopp, Berlin
runa.stopp@bld.de
(Kein) Vorrang des fließenden vor dem ruhenden Verkehr (mit BLD-Anmerkung)
LG München I, Beschluss vom 5.2.2024 - 17 S 15623/23 (nicht rechtskräftig)