Legt der Sozialversicherungsträger den Entlassbericht des Klinikums erst in der Berufungsinstanz vor und werden die geltend gemachten stationären Behandlungskosten daraufhin sofort unter Verwahrung gegen die Kostenlast anerkannt, liegt ein „sofortiges“ Anerkenntnis mit der Folge vor, dass dem Sozialversicherungsträger die Kosten aufzuerlegen sind.
Anmerkung
Der 12. Zivilsenat des OLG Stuttgart hat mit Berufungsurteil vom 19.12.2023 ein fehlerhaftes Urteil des LG Rottweil in Bezug auf die zugesprochenen Zinsen sowie die Kostenquote korrigiert. Es handelte sich um ein Regressverfahren eines Sozialversicherunhsträgers gegen den schädigenden Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer. Streitig war, in welchem Umfang der klagende Sozialversicherungsträger Behandlungsunterlagen vorlegen muss, um die geltend gemachte Schadenhöhe nachzuweisen. Die Alleinhaftung des Versicherers war unbestritten. Unstreitig waren vorgerichtlich aussagekräftige Behandlungsunterlagen bei dem klagenden Sozialversicherungsträger angefordert worden. Dieser hielt es allerdings nicht für erforderlich, diese vorgerichtlich zu übersenden.
Das LG Rottweil hat der Klage stattgegeben und die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. In der Klageforderung enthalten waren u.a. stationäre Behandlungskosten in Höhe von 3.630,36 Euro. Erst in der Berufungsinstanz vor dem OLG Stuttgart wurde der bereits vorgerichtlich angeforderte Entlassbericht des Klinikums durch den Sozialversicherungsträger vorgelegt. Daraufhin wurden die geltend gemachten stationären Behandlungskosten im Berufungsverfahren durch die Beklagte sofort unter Verwahrung gegen die Kostenlast anerkannt.
Das OLG Stuttgart hat bestätigt, dass ein „sofortiges“ Anerkenntnis vorliegt. Mit dem Ausgleich der stationären Behandlungskosten ist die Beklagte nach Auffassung des OLG nicht in Verzug geraten. Verzug tritt nicht ein, wenn dem Schuldner ein Zurückbehaltungsrecht zusteht, das er vor oder bei Eintritt der Verzugsvoraussetzungen ausgeübt hat. Der Haftpflichtversicherer kann gemäß § 119 Abs. 3 Satz 1 VVG Auskunft verlangen, soweit sie zur Feststellung des Schadenereignisses und der Höhe des Schadens erforderlich ist. Dieser Auskunftsanspruch begründet ein Zurückbehaltungsrecht der Haftpflichtversicherung gemäß § 273 Abs. 1 BGB gegenüber dem erhobenen Anspruch des Dritten auf Zahlung von Schadensersatz. Da sich durch die Legalzession nach § 116 Abs. 1 SGB X am Anspruch nichts ändert, kann die Haftpflichtversicherung den Auskunftsanspruch auch gegenüber dem Sozialversicherungsträger als Zessionar geltend machen.
Die Klägerin hatte zum Nachweis der stationären Behandlungskosten lediglich den sog. Grouper-Ausdruck vorgelegt. Hierbei handelt es sich um einen Ausdruck der Krankenhausabrechnung, die nach dem diagnoseorientierten Fallpauschalensystem computergeschützt ermittelt und übermittelt wird. Der Grouper ist ein reines EDV-Rechenprogramm und lebt von den eingegebenen Daten ohne eigenständige Prüfung oder überlagerte künstliche Intelligenz. Ein solcher Grouper-Ausdruck stellt nach Auffassung des OLG Stuttgart lediglich eine Indiztatsache für das Bestehen der behaupteten Verletzungen dar. Aus dem Ausdruck ergibt sich aber nicht, wie die in dem Ausdruck angegebene Hauptdiagnose ermittelt wurde und Eingang in das Computerprogramm gefunden hat. Im Unterschied zu einem Arztbericht, in dem der behandelnde Arzt die von ihm selbst gestellte Diagnose festhält und die Befundtatsachen dokumentiert, gibt ein Grouper-Auszug lediglich wieder, was ein in der Verwaltung arbeitender Dritter in das Computersystem eingetragen hat.
Das OLG Stuttgart führt zutreffend aus, dass es dem Schädiger nicht zuzumuten ist, sich auf eine Plausibilitätsprüfung zu beschränken. Vielmehr muss er die Möglichkeit haben, die behaupteten Verletzungen, die eine stationäre Behandlung und damit die geforderten Behandlungskosten erforderlich machten, konkret nachzuvollziehen. Dies ist etwa durch die Vorlage eines ärztlichen Berichts möglich, in dem der behandelnde Arzt die von ihm unmittelbar erhobenen Befundtatsachen sowie die konkrete Diagnose zusammengefasst hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Grouper-Auszug gerade nicht.
Anlass zur Klage wurde daher in Bezug auf die stationären Behandlungskosten vom OLG Stuttgart zu Recht verneint. Die Kostenquote wurde daher entsprechend zu Gunsten der Beklagten korrigiert. Auch die zugesprochenen Zinsen wurden - der Höhe nach - korrigiert. Das OLG hat sich auch mit der - oft falsch zitierten - Entscheidung des 13. Zivilsenats 13 U 57/23 auseinandergesetzt. Im Unterschied zum hier zu entscheidenden Fall lag dort vorgerichtlich ein Entlassbericht vor. Im dortigen Fall hatte daher der Schädiger die Kosten zu tragen.
Die aktuelle Entscheidung ist zu begrüßen und fügt sich in die gängige Rechtsprechung der Amts- und Landgerichte zu der Thematik ein. Auch das OLG Bamberg hatte bereits mit Urteil vom 24.1.202 - 5 U 472/21, BeckRS 2023, 25463 nach übereinstimmender Erledigungserklärung einen Anlass zur Klage verneint, nachdem erst im Rahmen des Berufungsverfahrens Fälligkeit eingetreten war. Im Stuttgarter Raum wurde zuletzt oft die - meist nicht einschlägige - Entscheidung des 13. Zivilsenats zitiert, sodass die Klarstellung durch den 12. Zivilsenat für die Fälle, in denen überhaupt keine Behandlungsunterlagen vorgelegt werden, wichtig war.
Festgehalten werden kann, dass Anlass zur Klage jedenfalls dann nicht besteht, wenn der Sozialversicherungsträger vorgerichtlich die Übersendung von aussagekräftigen Arztberichten aus Prinzip verweigert, etwa weil ihm diese nicht vorliegen oder aus datenschutzrechtlichen Gründen. Legt der Sozialversicherungsträger dann im gerichtlichen Verfahren doch noch die bereits vorgerichtlich angeforderten Arztberichte vor und erkennt der Schädiger sodann die Klageforderung unter Verwahrung gegen die Kostenlast „sofort“ an, so bestand kein Anlass zur Klage und die Kosten des Rechtstreits sind dem klagenden Sozialversicherungsträger aufzuerlegen.
Ansprechpartner
RA Armin Seiler, München
armin.seiler@bld.de
Kostentragung und sofortiges Anerkenntnis bei Vorlage des Entlassberichts des Klinikums erst in der Berufungsinstanz (mit BLD-Anmerkung)
OLG Stuttgart, Urteil vom 19.12.2023 - 12 U 17/23