Rechnet ein Trocknungsunternehmen das 3,17-fache der üblichen Vergütung für die von ihr erbrachten Leistungen ab, liegt ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor. Dies führt zu einer Nichtigkeit des Werkvertrages, weil dieser gegen diese guten Sitten verstößt.
Anmerkung
1. Der Wohngebäude-Versicherungsnehmer beauftragte nach einem Leitungswasserschaden ein Trocknungsunternehmen, welches bereits durch den plakativen Namen eine gute Unterstützung im Schadenfall suggeriert und dies 24 Stunden am Tag. Der Website des Unternehmens kann man entnehmen, dass dieses „für beste Qualität und den höchsten Stand der Regeln der Technik“ stehe. Die Wasserschadensanierungen würden nach TRLWI und den Hygienestandards der VdS 3151 ausgeführt. Als TüV-zertifiziertes Unternehmen leiste man alle erforderlichen Maßnahmen. Nach der Durchführung der Trocknungsarbeiten, über die der Versicherungsnehmer im Detail nicht aufgeklärt wurde, stellte man dann eine Rechnung über rund 13.500,00 Euro, die der Versicherer unter sachverständiger Hilfe einer Überprüfung unterzog. Der Versicherer hielt allenfalls die Hälfte der geltend gemachten Kosten für angemessen und entschädigte diese. Der Versicherungsnehmer selbst leitete nur den vom Versicherer als angemessen bezeichneten Betrag an das Trocknungsunternehmen weiter.
2. Dies führte dann zu der häufigen Konstellation, dass der Werkunternehmer (hier: das Trocknungsunternehmen) den Versicherungsnehmer auf Zahlung des restlichen Werklohns in Anspruch nahm. Der Versicherungsnehmer selbst hat dem Versicherer den Streit verkündet, um eine Bindungswirkung der Entscheidung zwischen dem Werkunternehmer und dem Versicherungsnehmer herbeizuführen.
Der Versicherer ist dem Versicherungsnehmer in seinem Rechtsstreit unterstützend beigetreten. Der Versicherer berief sich für den Versicherungsnehmer auf eine Unwirksamkeit des Werkvertrags wegen Sittenwidrigkeit. Der BGH nimmt eine solche Sittenwidrigkeit in der Sonderform des Wuchers nach § 138 BGB an, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Höhe der vereinbarten Vergütung und der dafür zu erbringenden Leistung besteht. Hierbei sind sämtliche Tatumstände, wie auch die Notsituation des Versicherungsnehmers und dessen geschäftliche Unerfahrenheit im Rahmen der Trocknungsleistungen zu berücksichtigen. Letztendlich stellte ein gerichtlich beauftragter Sachverständiger fest, dass lediglich ein Betrag in Höhe von rund 4.300 Euro der üblichen Vergütung für die erbrachten Leistungen entsprochen hätte. Aufgrund des krassen Missverhältnisses kam das LG dann zu dem Ergebnis, dass ein wucherähnliches Rechtsgeschäft vorliege mit der Folge der Gesamtnichtigkeit.
3. Das Urteil ist für die Sachversicherer wichtig. Aus zivilprozessualen Gründen ist der Versicherer nach dem Ausspruch einer Streitverkündung im Regelfall an die tragenden tatsächlichen Feststellungen und deren rechtliche Beurteilung gebunden. Der Fall zeigt, dass es sich empfiehlt, die tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf den Prozess durch einen Streitbeitritt auch tatsächlich zu nutzen. Sowohl für die Totalschadenentschädigung als auch für die Reparaturkosten gilt im Sachversicherungsrecht der Grundsatz der abstrakten Schadenberechnung. Die abstrakte Schadenberechnungsmethode geht nicht von den im Einzelfall tatsächlich aufgewendeten Kosten, sondern von den für die Beseitigung eines solchen Schadens üblicherweise anfallenden notwendigen Kosten aus. Insbesondere dann, wenn mit den Trocknungsunternehmen nicht regelmäßig zusammengearbeitet wird, lohnt sich eine konkrete Überprüfung der jeweiligen Trocknungsleistungen. Es werden häufig Positionen abgerechnet, die im korrekten Fall nicht erforderlich sind (Direktanalyse Raumluft, ATP-Direkttest auf Bioaktivität, Ausfertigung einer Gefährdungsanalyse, Einsatz eines Mikrowellen-Messgerätes zur Feuchtemessung, Raumfogging, Bereitstellung einer geeichten 400 Volt Messzelle, etc.). Es ist ganz offensichtlich so, dass es am Markt Werkunternehmer gibt, die die Notsituation der Versicherungsnehmer ausnutzen und „das volle Programm“, teilweise leider nutzlos, aufbieten. Ähnliche Konstellationen sind auch bei Glasbruchschäden bekannt, wobei dort die Kontrollmöglichkeit aufgrund standardisierter Werte deutlich erleichtert ist.
Ansprechpartner
RA Thomas Bangen, LL.M., Köln
thomas.bangen@bld.de
Nichtigkeit eines Werkvertrags zum Zwecke der Gebäudetrocknung bei grobem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung (mit BLD-Anmerkung)
LG Aachen, Urteil vom 11.6.2024 - 10 O 74/22