Ein (Teil-)Widerruf des Versicherungsnehmers nur hinsichtlich der Beitragsentlastungskomponente in seiner privaten Krankenversicherung ist als rechtsmissbräuchlich zu werten, wenn er zuvor ein weiteres gerichtlichen Verfahren angestrengt hat, in welchem er sich ausdrücklich auch mit dem Beitragsentlastungstarif befasst und dort teilweise Beiträge zurückgefordert hat.
Anmerkung
Die Entscheidung des OLG München ist die erste obergerichtliche Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem bereits dargestellten neuen Vorgehen marktbekannter Anspruchstellerkanzleien, die nunmehr zu den parallel laufenden bzw. bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren im Zusammenhang von vermeintlich unwirksamen Beitragsanpassungen zunehmend einen isolierten Widerruf der Beitragsentlastungskomponenten erheben.
Das erstinstanzliche LG Deggendorf hatte die Klage bereits unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung als unbegründet erachtet und dies maßgeblich mit dem Parallelverfahren begründet, in welchem sich der Versicherungsnehmer nur gezielt gegen eine Beitragsanpassung in der Beitragsentlastungskomponente gewandt hat, wohingegen weitere Beitragsanpassungen in dieser Beitragsentlastungskomponente nicht beanstandet wurden. Nach Ansicht der Vorinstanz bedeutete dies für den Versicherer, dass sich der zum Zeitpunkt der Klageerhebung im dortigen Verfahren anwaltlich beratene Versicherungsnehmer mit dem Inhalt der Beitragsentlastungskomponente dezidiert auseinandergesetzt hat.
Das OLG München hat diese rechtliche Würdigung des LG Deggendorf ausdrücklich bestätigt. Insoweit ist dem Senat zuzustimmen, dass sich der Versicherungsnehmer im Parallelverfahren auf eine wirksame vertragliche Vereinbarung auch zum Beitragsentlastungstarif gestützt hat. Dadurch durfte der Versicherer zurecht davon ausgehen, dass der Versicherungsnehmer dem Grunde nach mit der Beitragsentlastungskomponente einverstanden ist und weiterhin auch in dieser versichert bleiben wollte.
Zu dem gleichen Themenkomplex sind noch weitere Berufungsverfahren in gleichgelagerten Fällen vor dem OLG Fankfurt/M. (14 U 108/23 und 7 U 17/23), OLG Oldenburg (1 U 52/23) und OLG Celle (8 U 149/23) anhängig, in welchen auch das Thema der Verwirkung relevant ist, so dass die weitere Entwicklung abzuwarten bleibt.
Ansprechpartner
RA Hüseyin Bulut, Köln
hueseyin.bulut@bld.de
In Verbindung stehende Entscheidungen
- LG Hanau, Urteil vom 04.01.2023, 9 O 779/22 (nicht rechtskräftig)
- LG Aurich, Urteil vom 20.2.2023 - 3 O 676/22 (nicht rechtskräftig)
- LG Lüneburg, Urteil vom 28.02.2023, 5 O 379/22 (nicht rechtskräftig)
- LG Bückeburg, Urteil vom 29.06.2023, 2 O 124/22 (nicht rechtskräftigt)
- LG Bonn, Urteil vom 11.08.2023, 41 O 118/22 (nicht rechtskräftigt)
- LG Osnabrück, Urteil vom 18.08.2023, 9 O 2086/22 (nicht rechtskräftig)
- LG Ravensburg, Urteil vom 06.09.2023, 6 O 106/23 (rechtskräftig)
- LG Stuttgart, Urteil vom 22.11.2023, 47 O 79/23 (nicht rechtskräftig)
- LG Chemnitz, Urteil vom 27.11.2023, 5 O 98/23 (nicht rechtskräftig)
- LG Bochum, Urteil vom 29.11.2023, I-4 O 15/23 (nicht rechtskräftig)
OLG München zur Verwirkung bei Widerruf der Beitragsentlastung in der privaten Krankenversicherung (mit BLD-Anmerkung)
OLG München, Beschlüsse vom 4.10.2023 und 27.10.2023 - 25 U 3176/23 e