Streitigkeiten im Verhältnis des Unfallversicherungsträgers zum Durchgangsarzt fallen grundsätzlich unter die umfassende Zuständigkeitsregel des § 51 Abs. 1 Nr. 3 SGG.
Anmerkung
Die Parteien wenden sich gegen die Verweisung des Rechtsstreits auf den Sozialrechtsweg. Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, der Beklagte ein für sie tätiger Durchgangsarzt. Zwischen den Parteien gilt der Vertrag gemäß § 34 Abs. 3 SGB VII, kurz als: Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger bezeichnet. Die Klägerin macht Regressansprüche gegen den Beklagten geltend. Hintergrund des Regresses ist ein Arbeitsunfall des bei der Klägerin Versicherten, bei dem er sich eine Verletzung des linken Beins zugezogen hatte. Der Beklagte diagnostizierte Distorsionen, übersah aber eine zusätzliche Tibiafraktur und eine Luxation des linken Kniegelenks, die fünf Tage später in einem anderen Krankenhaus diagnostiziert wurden sowie ein Kompartmentsyndrom am linken Unterschenkel, welche in der Folgezeit operativ behandelt wurden.
Die Klägerin behauptet u.a., dass ohne die Behandlungsfehler der Heilungsverlauf komplikationsfreier verlaufen wäre, die Arbeitsunfähigkeit ihres Versicherten früher geendet hätte und die von ihr für den Versicherten zu erbringenden Aufwendungen geringer gewesen wären. Mit ihrer beim LG erhobenen Klage hat die Klägerin zuletzt einen eigenen Schadenersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB wegen einer Verletzung der Pflichten des Beklagten aus dem Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger verfolgt und beantragt, den Beklagten zur Zahlung von annähernd 100.000 Euro (behauptete Mehraufwendungen aufgrund der vermeintlichen Pflichtverletzungen) zu verurteilen und die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz weiterer Mehraufwendungen festzustellen.
Das LG hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten im Beschlusswege für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit von Amts wegen an das Sozialgericht verwiesen. Die hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerden beider Parteien hat das OLG zurückgewiesen. Mit ihren vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerden verfolgen die Parteien den Antrag weiter, den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig zu erklären.
Der BGH weist dies in letzter Instanz zurück. Die Klägerin leite die Ansprüche aus dem zwischen ihr als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung und dem Beklagten als Durchgangsarzt bestehenden Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger geregelten Rechtsverhältnis her. Dieses Rechtsverhältnis sei öffentlich-rechtlicher Natur. Es handele sich bei dem Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Dass die Klägerin ihre Ansprüche auf § 280 Abs. 1 BGB stützt, sei unerheblich. Ob es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit handelt, hänge nicht von der geltend gemachten Anspruchsgrundlage ab, sondern von der Rechtsnatur der Pflichten, aus deren Verletzung der Klageanspruch hergeleitet wird. Streitigkeiten im Verhältnis des Unfallversicherungsträgers zum Durchgangsarzt fielen daher grundsätzlich unter die umfassende Zuständigkeitsregel des § 51 Abs. 1 Nr. 3 SGG.
Gemäß Art. 34 Satz 3 GG dürfe der ordentliche Rechtsweg für den Anspruch auf Schadenersatz aus Amtspflichtverletzung und für den Rückgriff zwar nicht ausgeschlossen werden. Ein Rückgriff im Sinne von Art. 34 Satz 3 GG sei aber nur dann anzunehmen, wenn der klagende öffentlich-rechtliche Dienstherr die von ihm geltend gemachten Regressansprüche darauf stützt, dass er aufgrund eines aus § 839 BGB hergeleiteten Schadenersatzanspruchs Leistungen an einen Dritten erbracht und dadurch einen – mittelbaren – Schaden erlitten hat. Nicht erfasst würden Ansprüche des Dienstherrn gegen den Amtsträger wegen anderer Schäden, auch wenn diese auf eine Amtspflichtverletzung zurückzuführen seien. Im Streitfall sei nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin den Ersatz ihres aus einem etwaigen Amtshaftungsanspruch des Versicherten resultierenden Haftungsschadens geltend mache. Dass der Versicherte die Klägerin hier möglicherweise aus Amtshaftung dem Grunde nach hätte in Anspruch nehmen können, eröffne den ordentlichen Rechtsweg nach Art. 34 Satz 3 GG nicht, denn allein maßgeblich sei, ob die Klägerin tatsächlich einen Haftungsschaden geltend mache.
Zeitgleich ergingen insgesamt vier ähnliche Beschlüsse (VI ZB 79/20 - diese Entscheidung, VI ZB 80/20, VI ZB 81/20 und VI ZB 82/20). Alle Entscheidungen setzen sich mit der Frage des richtigen Rechtsweges beim Rückgriff des Unfallversicherungsträgers gegen den bzw. die für ihn tätigen Durchgangsärzte auseinander. Offenbar beabsichtigte der BGH, für die Frage des richtigen Rechtswegs beim Rückgriff des Unfallversicherungsträgers in unterschiedlichen Konstellationen ein Stück Rechtssicherheit zu schaffen.
Nicht alle Entscheidungen führten dabei zu einer Verweisung zum Sozialgericht. Vielmehr entscheidet sich die Frage des Rechtswegs in Einzelfall danach, ob die einzelnen Ansprüche sich nach den zu ihrer Begründung vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleiten, der von Rechtssätzen des Zivil- oder des öffentlichen Rechts geprägt wird. Außerdem gilt: Solange nicht offensichtlich auszuschließen ist, dass es sich bei dem Regressschaden um einen solchen handelt, den der Durchgangsarzt in Ausübung eines öffentlichen Amts verursacht hat mit der Folge, dass der Unfallversicherungsträger nach Art. 34 GG i. V. m. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB haften könnte, ist weiterhin der ordentliche Rechtsweg zulässig (so ausdrücklich in dem Beschluss zum Aktenzeichen VI ZB 81/20).
Ansprechpartner
RA Dirk Hüwe, Köln
dirk.huewe@bld.de
Rechtsweg beim Rückgriff des Unfallversicherungsträgers gegen den für ihn tätigen Durchgangsarzt (mit BLD-Anmerkung)
BGH, Beschluss vom 9.1.2023 - VI ZB 79/20