1. Geht es dem Kläger nicht um die Bezifferung eines Anspruchs, sondern um die Prüfung, ob überhaupt ein Anspruch besteht, ist dieses Rechtsschutzbegehren als Stufenklage im Sinne des § 254 ZPO unzulässig. Der Auskunftsantrag kann jedoch in eine von der Stufung unabhängige Klage umgedeutet werden.
2. Einem Versicherungsnehmer kann aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ein Auskunftsanspruch über zurückliegende Prämienanpassungen zustehen. Dieser Anspruch setzt zunächst voraus, dass ihm noch Rückzahlungsansprüche aufgrund früherer Prämienerhöhungen, falls diese unwirksam gewesen sein sollten, als Grund für das Auskunftsbegehren zustehen könnten. Darüber hinaus ist erforderlich, dass er nicht mehr über die betreffenden Unterlagen verfügt und sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare Weise verschaffen kann. Wenn dies der Fall ist, ist unter Berücksichtigung der Gründe für diesen Verlust zu entscheiden, ob er in entschuldbarer Weise über sein Recht im Ungewissen ist. Die hierfür maßgebenden Umstände hat der Versicherungsnehmer darzulegen und zu beweisen.
3. Dagegen folgt ein solcher Auskunftsanspruch grundsätzlich nicht aus Art. 15 Abs. 1, 3 DSGVO. Ein Anspruch auf eine Abschrift der gesamten Begründungsschreiben samt Anlagen lässt sich aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO nicht herleiten, da es sich weder bei den Anschreiben selbst noch bei den beigefügten Anlagen jeweils in ihrer Gesamtheit um personenbezogene Daten des Versicherungsnehmers handelt. Aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO ergibt sich nur ein Anspruch auf eine Kopie der Daten, zu denen nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO Auskunft zu erteilen wäre, aber grundsätzlich kein Anspruch auf Herausgabe von Kopien bestimmter Dokumente. Dazu hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 4.5.2023 (C-487/21 - NJW 2023, 2253) entschieden, dass Art. 15 Abs. 1 DSGVO den Gegenstand und den Anwendungsbereich des Auskunftsrechts und Art. 15 Abs. 3 DSGVO die praktischen Modalitäten für die Erfüllung der Verpflichtung festlege; daher könne Art. 15 DSGVO nicht so ausgelegt werden, dass er in seinem Abs. 3 Satz 1 ein anderes Recht als das in seinem Abs. 1 vorgesehene gewähre.
Anmerkung
Die Entscheidung des BGH hat eine weit über den Bereich der privaten Krankenversicherung hinausreichende, grundsätzliche Bedeutung.
Denn es hat sich insbesondere im Bereich sog. Masseverfahren - im versicherungsvertragsrechtlichen Segment sind namentlich Beitragsanpassungsprozesse in der privaten Krankenversicherung und Rückabwicklungsprozesse in der Lebensversicherung zu nennen – die „Mode“ unter den die anspruchstellenden Parteien vertretenen Sozietäten entwickelt, den Versicherer zunächst mit weitreichenden Auskunftsansprüchen zu konfrontieren, die regelmäßig auf die Gewährung einer vollständigen Akteneinsicht hinausliefe. Der Grund dafür scheint klar. Zum einen kann so im Erfolgsfall die „lästige“ Unterlagenbeschaffung über den eigenen Mandanten vermieden werden. Zum anderen können auf diese Weise zusätzliche Klagen produziert werden. Allerdings auch jenseits der Masseverfahren sind entsprechende Klagen nicht mehr hinwegzudenken. Jenseits des versicherungsrechtlichen Bereichs sind im Bereich der Masseverfahren etwa „Diesel-Gate“ oder sog. Datenscraping-Fälle zu nennen. Aber auch jenseits von Masseklagen war in den vergangenen Jahren ein steiler Anstieg derartiger Klagen zu beobachten, wobei sich in diesen Verfahren das Interesse der klagenden Parteien regelmäßig auf interne Einschätzungen des Versicherers oder der Verantwortlichen zur Sach- und Rechtslage bezieht, da man sich davon offenbar prozessuale Vorteile verspricht.
Die Rechtsprechung zu derartigen Klagen fällt bis dato extrem uneinheitlich aus.
Einige Gerichte strapazieren in derartigen Fällen etwa den Grundsatz von Treu und Glauben in einer Art und Weise, die nur überraschen kann. Andere Gerichte gehen im Hinblick auf § 242 BGB gewissenhafter vor und hören z.B. die klagenden Parteien auch persönlich zu dem regelmäßig behaupteten, aber auch erforderlichen „Totalverlust“ der Unterlagen an. In diesen Fällen zeigt sich dann häufig auch, mit welchen Methoden Masseprozesse geführt werden. Denn dann kommt es etwa nicht selten zu Einlassungen dahingehend: „Mir fehlen keine Unterlagen und Schreiben. Über die letzten zehn Jahre ist alles vorhanden. Von fehlenden Unterlagen weiß ich nichts“ oder „Mir lagen die Unterlagen Konvolut … von Anfang an vor. Ich habe diese der Kanzlei zur Verfügung gestellt, sobald sie mich danach gefragt hat“. Wenngleich die Entscheidungsgründe noch nicht vorliegen, so lässt bereits der mit der Pressemitteilung veröffentlichte Leitsatz hoffen, dass diejenigen Gerichte ihre bisherige Praxis überdenken, die bisher die pauschale Behauptung eines Verlusts von Unterlagen ausreichen gelassen haben. Denn der BGH artikuliert namentlich sehr klar, dass ein Anspruch aus § 242 BGB besonderen Voraussetzungen unterliegt, die darzulegen sind.
Eine noch größere Bedeutung dürfte das Urteil aber im Bereich der Auskunftsklagen gemäß Art. 15 DSGVO entfalten. Denn obwohl es an sich auf der Hand liegt, dass ein zu einer z.B. elektronischen Schaden- oder Vertragsakte – von eigenen Erklärungen des Betroffen abgesehen – nicht in toto ein personenbezogenes Datum darstellen kann, weil ein archiviertes Schriftstück eine Fülle von personenbezogenen Daten unterschiedlicher Personen oder Informationen ohne jeden personenbezogenen Inhalt enthalten kann, haben einige Gerichte den Auskunftsanspruch pauschal auf archivierte Unterlagen erstreckt. Dieses Vorgehen ist aus vielerlei Gründen als falsch zu kritisieren. Namentlich ist zu sehen, dass das Betroffenenrecht „Auskunft“ der Wahrnehmung des informationellen Selbstbestimmungsrechts dient und sich schon seinem Wortlaut nach auf personenbezogene Daten und nicht auf archivierte Dokumente bezieht. Weiter verkennen die großzügig agierenden Gerichte durchweg, dass sie mit ihrer bisherigen Praxis dem Datenschutz letztlich einen sprichwörtlichen „Bärendienst“ erweisen. Denn viele Verantwortliche legen Dokumente in einfachen Dateiformaten ab, deren Inhalt nicht texterkannt verarbeitet und auch nicht über eine zentrale Suchinstanz erschlossen ist. Das ist ein durchaus datenschonendes Vorgehen, weil der Verantwortliche jedes Dokument öffnen muss, um über dessen Inhalt im Detail Auskunft zu erteilen. Würde nun der Auskunftsanspruch pauschal auf den Inhalt archivierter Dokumente erstreckt, würden die Verantwortlichen im Hinblick auf den erheblichen, zum Teil jenseits jeder Verhältnismäßigkeit liegenden Aufwand einer Auswertung zum Zwecke der Auskunftserteilung gezwungen sein, deutlich datenintensivere Verarbeitungen zu implementieren. Nach der DSGVO sollen aber Verantwortliche gerade nicht gezwungen sein, Verarbeitungen alleine deshalb durchzuführen, um Auskunftsansprüche erfüllen zu können. Die diversen Argumente haben die BLD Partner Dr. Britz und Dr. Beyer bereits im Jahr 2020 in Ihrem Beitrag zum Auskunftsanspruch in der Versicherungspraxis beleuchtet (Britz/Beyer VersR 2020, 65). In seiner Entscheidung vom 15.6.2021 – VI ZR 576/19, mit welcher der BGH den entsprechenden Klagen zunächst weiteren Auftrieb gegeben hat, wollte der BGH diese Argumente zunächst nicht hören und hat den Beitrag ablehnend zitiert. Nach der Entscheidung des EuGH vom 4.5.2023 – C-487/21 scheint der BGH nun die dringend erforderliche Klarstellung im Hinblick auf archivierte Dokumente vornehmen zu wollen. Denn dem EuGH folgend stellt er nun heraus, dass aus Art. 15 DSGVO grundsätzlich kein Anspruch auf Herausgabe von Kopien bestimmter Dokumente folgt. Abzuwarten bleiben die Entscheidungsgründe im Detail. Abzuwarten bleibt auch, wie der BGH mit der durch den EuGH für Ausnahmefälle vorgesehenen Ausweitung umgehen wird. Denn nach dem EuGH kann „eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten“ in Betracht kommen, „wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung der ihr durch diese Verordnung verliehenen Rechte zu ermöglichen, wobei insoweit die Rechte und Freiheiten anderer zu berücksichtigen sind.“ Dass diese „Unerlässlichkeit“ nicht darin bestehen kann, sich Unterlagen zum Zwecke der Arbeitserleichterung und Anspruchsprüfung bei dem Verantwortlichen zu beschaffen, sollte aber nun kaum mehr zweifelhaft sein.
Hilfreich ist die Entscheidung auch in Fällen, in denen Schadensersatzansprüche auf Verstöße gegen die Auskunftspflichten gestützt werden, was ebenfalls in Massenverfahren versucht wird. In diesem Zusammenhang ist natürlich auch die weitere Entscheidung des EuGH vom 4.5.2023 (C-300/21) von Relevanz, wonach gerade nicht jeder Verstoß gegen die DSGVO zu einem Schadensersatzanspruch führen kann (vgl. hierzu Beyer Phi 2023, 101 ff.).
Ansprechpartner
Datenschutz
RA Dr. Alexander Beyer, Köln
alexander.beyer@bld.de
RA Dr. Tobias Britz, Köln
tobias.britz@bld.de
Beitragsanpassung
RA Lutz Köther, LL.M., Köln
lutz.koether@bld.de
Umfang des Auskunftsanspruchs über frühere Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung (Art. 15 DSGVO und § 242 BGB) (mit BLD-Anmerkung)
BGH, Urteil vom 27.9.2023 - IV ZR 177/22