Einen die Fahrbahn querenden Fußgänger trifft die Pflicht zur Beobachtung des gesamten Vekehrsraumes. Auf einer Hauptstraße muss dabei auch mit rückwärts einparkenden Fahrzeugen gerechnet werden.
Anmerkung
Das KG beschloss am 22.6.2023 (22 U 51/22), dass ein Autofahrer für nicht mehr als 2/3 der Schäden eines Fußgängers haftet, den er beim Rückwärtsparken anfuhr. Beim Fußgänger sah das KG eine Mithaftung in Höhe von 1/3 wegen unaufmerksamen Überquerens der Fahrbahn.
Der Autofahrer war mit seinem Fahrzeug in zweiter Reihe stehengeblieben, um rückwärts in eine Parklücke am Fahrbahnrand zu fahren. Beim Rangieren kollidierte er mit dem Fußgänger, der die Fahrbahn von der gegenüberliegenden Seite aus überquerte. Als dieser vor Betreten der ersten Fahrbahnhälfte zur Sicherheit in beide Richtungen blickte, sah er das in zweiter Reihe angehaltene Auto. Beim Erreichen der Fahrbahnmitte prüfte der Fußgänger jedoch nur, ob sich Verkehr von seiner rechten Seite aus, also in Fahrtrichtung, näherte. Den Blick gegen die Fahrtrichtung wendete er nicht mehr. Daher nahm er das rückwärtsfahrende Auto nicht weiter wahr. Das KG entschied, dass eine anlassbezogene Sorgfaltspflicht für Fußgänger besteht, die Fahrbahn vor dem Betreten nicht nur in, sondern auch gegen die Fahrtrichtung durch einen Sicherheitsblick auf ihre Freiheit zu prüfen. Ein solcher Anlass habe im konkreten Fall bestanden, da der Fußgänger das in zweiter Reihe haltende Auto wahrgenommen hatte. Auf einer Hauptstraße müssten Verkehrsteilnehmer zudem mit Fahrzeugen rechnen, die sich rückwärts bewegen, z.B. um in eine Parklücke einzufahren.
Ansprechpartnerin
RAin Dr. Corinna Carl, Berlin
corinna.carl@bld.de
In Verbindung stehende Entscheidungen
BGH, Urteil vom 4.4.2023 - VI ZR 11/21
Verhaltenspflichten für Fußgänger beim Überqueren von Straßen (mit BLD-Anmerkung)
KG, Beschluss vom 22.6.2023 - 22 U 51/22