1. Die vom Erblasser zu Lebzeiten begründete Bezugsberechtigung für die Todesfallleistung aus einer Lebensversicherung verschafft dem Begünstigten im Versicherungsfall eine im Deckungsverhältnis unentziehbare Rechtsstellung, sodass die Erben des Versicherungsnehmers die Bezugsberechtigung nicht mehr ändern oder widerrufen können.
2. Ausschließlich das Deckungsverhältnis entscheidet , ob, wann und in welchem Umfang der Bezugsberechtigte den Versicherungsanspruch gegen den Versicherer erwirbt. Aufgrund der wirksamen Bezugsberechtigung bleibt der Versicherer in dem vom Valutaverhältnis zu trennenden Deckungsverhältnis zwischen ihm und dem Erblasser grundsätzlich zur Auszahlung der Versicherungsleistung an den Bezugsberechtigten verpflichtet.
3. Zur Prüfung etwaiger Mängel im Valutaverhältnis ist der Versicherer in der Regel nicht aufgerufen.
4. Eine Pflicht zur Hinterlegung kommt auch bei evidenten Anhaltspunkten für Mängel im Valutaverhältnis nicht in Betracht.
Anmerkung
Bei dem sog. Wettlauf zwischen Erben und Bezugsberechtigten handelt es sich um eine Konstellation, die in der Praxis nach wie vor erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich bringt. Das gilt namentlich dann, wenn die Erben, welche den Widerruf des Auftrags zur Übermittlung des Schenkungsangebots gegenüber dem Versicherer erklären, sogleich eine Auszahlung zu ihren Gunsten fordern. Hierbei verkennen die Erben jedoch regelmäßig, dass allein das Valutaverhältnis entscheidet, ob der Bezugsberechtigte die Versicherungsleistung im Verhältnis zu den Erben des Verstorbenen behalten darf (BGH NJW 2013, 2588 m.w. Nachw.).
Auch in dem vom OLG Hamm, a.a.O., entschiedenen Verfahren berief sich die Erbin auf den Widerruf des Auftrags zur Übermittlung des Schenkungsangebots. Gleichwohl zahlte die später beklagte Versicherung an die Bezugsberechtigte aus und berief sich seinerseits auf die Verpflichtung im Deckungsverhältnis. Nachdem die Erbin die Bezugsberechtigte zwar gerichtlich erfolgreich in Anspruch nahm, die Forderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die Bezugsberechtigte jedoch nicht beigetrieben werden konnte, nahm die Erbin die Versicherung in Anspruch. Hierbei stellte sie sich auf den Standpunkt, die Versicherungsleistung hätte von Anfang an an sie erbracht werden müssen.
Das LG gab der Klage statt. Zwar ging auch das LG davon aus, dass sich die Verpflichtung zur Auszahlung allein nach dem Deckungsverhältnis bestimme, eine Schadensersatzpflicht ergebe sich jedoch aus dem Umstand, dass der Versicherer nach den Umständen des Einzelfalls, von erheblichen Mängeln im Valutaverhältnis ausgehen musste.
Mit dem hiesigen Urteil hob das OLG Hamm das erstinszanliche Urteil auf und wies die Klage vollumfänglich ab. Das OLG Hamm bestätigt hierbei abermals die durchaus gefestigte Rechtsprechung, wonach ausschließlich das Deckungsverhältnis darüber entscheide, ob , wann und in welchem Umfang der Bezugsberechtigte den Versicherungsanspruch gegen den Versicherer erwirbt. Insbesondere macht das OLG Hamm nochmals deutlich, dass das Deckungsverhältnis von Mängeln im Valutaverhältnis unberührt bleibe.
Erwähnenswert und der Rechtssicherheit nur zuträglich sind im vorliegenden Verfahren die Ausführungen des Sentas, wonach eine Pflicht zur Hinterlegung auch bei evidenten Anhaltspunkten für Mängel im Valutaverhältnis nicht in Betracht komme. Insbesondere seien Erwägungen zu einem bestimmten Zweck des Vertrages oder zu den diesbezüglichen Umständen für den Versicherer nicht relevant. Denn gleichwohl habe der Versicherer regelmäßig an den Bezugsberechtigten auszuzahlen.
Zwar ließ das OLG Hamm ausdrücklich offen, ob sich eine Hinterlegungspflicht bei Offenkundigkeit eines Mangels im Valutaverhältnis ergebe, der Senat differenziert jedoch genau zwischen "evidenten Mängeln" und Offenkundigkeit.
Im Ergebnis ist das Urteil ein weiterer erfreulicher Schritt in Richtung Rechtssicherheit bei Auszahlungen von Leistungen an den Bezugsberechtigten. Gleichwohl gilt es auch in Zukunft genau zu prüfen, an wen die Versicherungsleistung auszuzahlen ist, denn der hier streitentscheidende Senat hat bereits mit Beschluss vom 24.4.2019 - 20 U 135/18 entschieden, dass ausnahmsweise die Geltendmachung des dem Bezugsberechtigten eingeräumten Anspruchs gegen den Versicherer treuwidrig und daher unzulässig sein könne, wenn der Bezugsberechtigte sich auf seine formale Rechtsposition beriefe, obwohl offenkundig ist, dass die Versicherungsleistung nach der Rechtsordnung letztlich dem Versicherungsnehmer zustehe.
Ansprechpartner
RA Dr. Tobias Britz, Köln
tobias.britz@bld.de
RA Sebastian Olschinka, Köln
sebastian.olschinka@bld.de
In Verbindung stehende Entscheidungen
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Wettlauf um die Todesfallleistung: Keine Schadensersatzpflicht bei unterlassener Hinterlegung (mit BLD-Anmerkung)
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