Eine Klausel, nach der Behandlungen wegen unerfülltem Kinderwunsch nur dann erstattungsfähig ist, wenn zum Zeitpunkt der Behandlung die Frau das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist wirksam und verstößt insbesondere nicht gegen das AGG.
Anmerkung
Das OLG Köln hatte in zweiter Instanz über eine Klage einer Versicherten zu entscheiden, welche zum Zeitpunkt der Behandlung wegen unerfülltem Kinderwunsch bereits das 40. Lebensjahr vollendet hatte. Der vereinbarte Tarif sieht eine Erstattungspflicht (u.a.) nur dann vor, wenn zum Zeitpunkt der Behandlung die Frau das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Vor diesem Hintergrund erfolgte die Ablehnung der Erstattung.
Bereits das LG Köln (23 O 175/23) hatte die Klage abgewiesen. Das OLG Köln hat nunmehr die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen.
Dies mit der Begründung, dass die Klausel sowohl einer Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB als auch nach §§ 19, 20 AGG standhält. Sie verletzt ebensowenig den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz wegen altersdiskriminierender Wirkung.
Zum Primäreinwand der Klägerin, bezogen auf das AGG und die Altersdiskriminierung führt das OLG aus:
Nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG ist u.a. eine Benachteiligung aus Gründen des Geschlechts oder des Alters bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben, unzulässig. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 AGG ist eine Verletzung des Benachteiligungsverbots nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung u.a. wegen des Alters oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 AGG dürfen Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft auf keinen Fall zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen führen. Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters bei privaten Versicherungsverhältnissen nur zulässig, wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen.
Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 42 zu § 19 Abs. 1 und S. 45 zu § 20) normiert § 20 Abs. 2 AGG die Voraussetzungen, unter denen bei der Festlegung von Prämien und der Gewährung von Leistungen u.a. Alter und Geschlecht weiterhin als Differenzierungsmerkmale bei der Risikobewertung herangezogen werden dürfen. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine Ungleichbehandlung auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 2 AGG beruht, trägt der Versicherer (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 43, 45 zu § 20).
Die in Streit stehende Altersgrenze für den im Tarif der Klägerin grundsätzlich eingeschlossenen Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine medizinisch notwendige Kinderwunschbehandlung ist nach diesen Maßstäben sachlich gerechtfertigt, weil die Konzeptionswahrscheinlichkeit bei Frauen auch nach dem aktuellen Stand der Reproduktionswissenschaft nach wie vor bereits ab einem Alter von etwa 30 Jahren stetig sinkt und ab Vollendung des 40. Lebensjahres deutlich gemindert ist.
§ 20 Abs. 2 AGG soll nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers vor Willkür schützen. Die Regelung soll aber nicht die auch im Interesse der Versicherten erforderliche Differenzierung nach dem ex ante beurteilten individuellen Risiko unmöglich machen. Gerade diese Differenzierung gehört zu den Grundprinzipien der privatrechtlichen Versicherung.
Nach dem Sinn und Zweck der Regelung, Willkür und Diskriminierung auszuschließen, muss nach dem Dafürhalten des Senats bereits die objektiv zu treffende Feststellung genügen, dass es sich um eine auf Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse hergeleitete und insbesondere nach vorhandenen Statistiken sachlich gerechtfertigte Altersgrenze handelt.
Dies ist der Fall. Es geht nicht um die Kalkulation der konkreten Höhe der Prämie, sondern um die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Leistungspflicht für die in § 1 Abs. 2 lit. a) Nr. 3 AVB eigenständig als Versicherungsfall geregelte Kinderwunschbehandlung eintritt. Es leuchtet ohne Weiteres ein, dass der Krankenversicherer zur Beschränkung seiner Leistungsausgaben und damit zugleich zur Begrenzung künftiger Prämien im Interesse der gesamten Versichertengemeinschaft die Kosten für eine Kinderwunschbehandlung nur dann zu tragen bereit ist, wenn Kostenaufwand und Erfolgswahrscheinlichkeit der Behandlung in einem angemessenen Verhältnis stehen. Es entspricht unzweifelhaft gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass die Fortpflanzungsfähigkeit von Frauen besonders eng mit ihrem Alter zusammenhängt. Wissenschaftlich erwiesen ist ebenso, dass die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen künstlichen Befruchtung mit zunehmendem Alter einer Frau ganz erheblich sinkt. Spiegelbildlich steigt das Risiko unnützer Kostenaufwendungen mit zunehmendem Alter der Versicherungsnehmerin stark an. Schon deshalb stellt sich die grundsätzliche Heranziehung des Alters bei der Festlegung der Leistungsvoraussetzungen für eine Kinderwunschbehandlung als ein taugliches Merkmal einer risikoadäquaten Kalkulation im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 2 AGG dar.
Weiteres Vorbringen der Beklagten zu ihrer konkreten Kalkulation ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zu verlangen. Je offensichtlicher die sachliche Rechtfertigung einer Altersregelung aufgrund allgemein zugänglicher Statistiken ist, desto geringer sind auch die Anforderungen, die an eine spezifischere Begründung der altersabhängigen Leistungsbegrenzung durch den Versicherer vernünftigerweise noch zu stellen sind (vgl. allgemein dazu BeckOGK/Mörsdorf [1.7.2024], § 20 AGG Rn. 63; MüKoBGB/Thüsing, 10. Aufl. [2025], § 20 AGG Rn. 63 f.; Staudinger/Serr [2020], § 20 AGG Rn. 61). § 20 Abs. 2 Satz 2 AGG will dem Versicherer keine unnötigen Bürden zur förmlichen Rechtfertigung seiner unternehmerischen Entscheidungen auferlegen, sondern nur eine Ungleichbehandlung aus unsachlichen und nicht zu billigenden Motiven verhindern. Es stehen hier keine undurchsichtigen, für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer kaum noch nachvollziehbaren Überlegungen im Raum, die etwa einer Überprüfung durch einen Versicherungsmathematiker bedürften. Die Klägerin erläutert auch nicht, welche „anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation" missachtet worden sein sollten. Von dem Versicherer, der nach den vorstehenden Ausführungen die Grenzen seines unternehmerischen Ermessens ersichtlich nicht in altersdiskriminierender Weise überschritten hat, kann zudem nicht verlangt werden, dass er gesonderte und weitergehende versicherungsmathematische Berechnungen zu der von ihm vorgenommenen Risikobewertung vorlegt. Dabei muss auch beachtet werden, dass der Gesetzgeber bei der konkreten Formulierung des Wortlauts des § 20 Abs. 2 Satz 2 AGG ersichtlich die Kalkulation der Prämienhöhe im Blick hatte (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 45).
Ansprechpartner
RA Jan Holger Göbel, Köln
jan.goebel@bld.de